„Aufregend!“ Wenn Gerrit Zijlstra vom Tiny House spricht, gerät er leicht ins Schwärmen. Dabei ist es nicht einmal die moderne Wohnlichkeit des 3,45 auf 11,95 Meter messenden Quaders, die dem promovierten Physiker das Leuchten in die Augen treibt. Tatsächlich kann man den Grund dafür noch nicht einmal sehen, nur fühlen: Trotz niederländischen Winterwinds herrscht im Tiny House Wohlfühltemperatur und das warme Wasser in Küche und Bad lässt durchgefrorene Glieder schnell wieder auftauen. Für Zijlstra und seinen Arbeitgeber, den niederländischen Heizkesselhersteller Intergas mit Sitz in Coevorden, ist das ein Meilenstein. Denn für Wärme und Warmwasser sorgt ein Boiler, der zu 100 Prozent mit Wasserstoff heizt.
Wasserstoff ist beides: Speicher und Energie, was ihn zu einer effektiven Lösung für die Energiewende macht. Deshalb erforschen wir diese Lösung.
Peter Cool, CTO Intergas
„Das ist für mich das Faszinierende an dem Tiny-House-Projekt: die neue Wasserstofftechnologie in ein bewährtes Produkt wie einen Heizkessel zu integrieren und so eine Lösung für nachhaltigen Brennstoff zu finden. Dadurch können wir CO₂-Emissionen reduzieren“, sagt Zijlstra. Vor zwei Jahren schlug Intergas den Weg in diese Richtung ein. Denn, so CTO Peter Cool: „Wasserstoff ist beides: Speicher und Energiequelle, was ihn zu einer effektiven Lösung für die Energiewende macht. Deshalb erforschen wir diese Lösung.“ Entwickler Zijlstra nahm sich der H2-Fähigkeit der Intergas-Produkte als Projektleiter für Wasserstoff an. Am Anfang stand die Frage: „Wie können wir einen existierenden Kessel so umrüsten, dass er reinen Wasserstoff verbrennen kann?“

Foto: Miquel Gonzalez | Fotogloria
Versuche im Wasserstofflabor
Die Suche nach Antworten begann im firmeneigenen Wasserstofflabor. Zunächst einmal hieß das: zurück zu den Grundlagen der Verbrennungstechnologie. Denn Wasserstoff verhält sich völlig anders als Erdgas — das durch die Energietransformation in nicht allzu ferner Zukunft ersetzt werden soll. Zijlstra erklärt: „Beim Erdgas nutzen wir dessen Leitfähigkeit, um die Flamme zu überwachen. Eine Wasserstoffflamme hingegen ist nicht leitfähig und nahezu unsichtbar. Wir mussten also erst einmal eine Lösung finden, um die Flammenüberwachung sicherzustellen.“
Der Wasserstoffkessel ist das Ergebnis einer innovativen Zusammenarbeit mit einem fantastischen Team von Fachleuten.
Gerrit Zijlstra, Entwickler bei Intergas
Mit verschiedensten Versuchsanordnungen und offenem Brenner machte sich Zijlstra im Labor ans Werk. Ein großer Vorteil bei Intergas waren die kurzen Dienstwege zwischen den Disziplinen, die es für einen fortschrittlichen Boiler braucht. „Der Wasserstoffkessel ist das Ergebnis einer innovativen Zusammenarbeit mit einem fantastischen Team von Fachleuten, die in den Bereichen Elektronik, Physik, eingebettete Software, Technik, Zertifizierung, IT, Produktmanagement und Marketing hervorragende Arbeit leisten“, sagt Zijlstra.
Kurze Wege bei der Entwicklung
Doch auch über Firmen- und Landesgrenzen hinaus können Wege kurz sein. „Wir holten schon zu Beginn unserer Arbeit am H2-Heizkessel ebm-papst ins Boot. Denn wir vermuteten frühzeitig, dass das Gasventil und das Gebläse eine entscheidende Rolle spielen würden. Zu ebm-papst hatten wir über Enno Vrolijk, den Leiter der Gasventilentwicklung, bereits einen sehr guten Kontakt.“
In Enno Vrolijk, Jürgen Schwalme, Leiter Applikation und Zertifizierung, dem Applikateur Christoph Beck und Ludwig Hirsch, Leiter der Versuchswerkstatt, fand Intergas Ansprechpartner und Unterstützer fürs Technische, aber auch für die notwendigen Formalitäten. „Wir führten viele interessante Diskussionen und identifizierten gemeinsam potenzielle Risiken. ebm-papst stellte uns außerdem Prototypen zur Verfügung, die auf die Eigenheiten von Wasserstoff abgestimmt sind“, berichtet Zijlstra. Dazu gehören beispielsweise ein besonders dichtes Gasgebläse und die spezielle Einstellung der Gasventile auf Wasserstoff. Es musste aber auch sichergestellt sein, dass im Inneren des Gebläses selbst im Fehlerfall keine Funken durch elektrostatische Aufladungen entstehen. Dass ebm-papst sich schon seit geraumer Zeit mit dem Element H2 auseinandersetzte, sollte sich für Intergas bald bewähren.
Hilfe bei der Zertifizierung
Die Heizungsprofis waren am „Entwickeln, Entwickeln, Entwickeln“, wie Zijlstra sagt, da erreichte sie eine Anfrage, die sie noch mehr Stoff geben ließ: Verschiedene Institutionen der Gemeinde Hoogeveen hatten sich zusammengetan, um ein mobiles kleines Haus zu bauen, das vollständig aus nachhaltigen Materialien besteht — und mit grünem Wasserstoff betrieben wird. Das „Waterstof Tiny House“ sollte im September 2021 als Botschafter für grünes Wohnen auf Tour durch die niederländische Region Drenthe gehen und die breite Bevölkerung, Studierende und beruflich Interessierte für das Thema erwärmen. Der ideale Demonstrationstest für Intergas und seinen ersten H2-Heizkessel. Doch jetzt war es schon März, die Zeit drängte also.
Eine große Herausforderung für uns war, dass die Technik weiter ist als die Regulatorien.
Gerrit Zijlstra, Entwickler bei Intergas
„Eine große Herausforderung für uns war, dass die Technik weiter ist als die Regulatorien. Wir konnten keine zertifizierten Komponenten einsetzen, weil es schlicht keine Zertifikationen gab“, sagt Zijlstra. „Doch ebm-papst half uns beim Zertifizierungsprozess, den wir für den Demonstrationstest mit dem Tiny House durchlaufen mussten.“ Experte Jürgen Schwalme erklärt: „Schon vor dem Tiny-House-Projekt hatten wir uns mit verschiedenen Prüfstellen wie dem DVGW-EBI zusammengesetzt, gemeinsam mit ihnen Risikoanalysen bewertet und die notwendigen Tests sowie Untersuchungen festgelegt und durchgeführt. Darüber hinaus haben wir uns am europäischen Projekt ‚Testing Hydrogen in Gas Appliances‘, kurz THyGA, beteiligt und wurden im Normengremium dazu eingeladen, an der Ausarbeitung des europäischen Leitfadens für die Anwendung von 100 Prozent Wasserstoff bei Gasventilen in der Heizungstechnik mitzuwirken. Unsere Vernetzung in Europa ermöglichte es, dass wir Intergas bei der Zusammenarbeit mit der niederländischen Prüfstelle Kiwa sehr zügig begleiten konnten.“

Warmwasser(stoff) marsch: Das Waterstof Tiny House war als Botschafter für grünes Heizen auf Tour durch die Niederlande. (Foto: Miquel Gonzalez | Fotogloria)
Vom kleinen Haus zum Wohngebiet
Inzwischen hat das Tiny House seine Tour abgeschlossen und bei vielen bleibende Eindrücke hinterlassen. „Die Besucherinnen und Besucher waren durchweg beeindruckt — und viele probierten als Erstes aus, ob tatsächlich warmes Wasser aus dem Hahn kommt“, erzählt Zijlstra, der an manchen Stationen selbst vor Ort war.
Das Tiny House steht nun an seinem finalen Standort in Hoogeveen — und bei Intergas steht das nächste Wasserstoffprojekt an: Ein Teil des Dorfes Wagenborgen in Groningen mit Häusern aus den 1970er-Jahren wird Ende 2022 an ein Wasserstoffnetz angeschlossen. Von diesem Zeitpunkt an werden die Bewohner von 33 Häusern mit einem Hybridsystem heizen — mit Wasserstoff-Heizkesseln und kleinen Wärmepumpen von Intergas.
Mit dem 100-Prozent-Wasserstoff-Kessel sind wir bereit für eine nachhaltige Zukunft. Das ist für uns ziemlich aufregend.
Gerrit Zijlstra, Entwickler bei Intergas
Bei noch älteren, gar denkmalgeschützten Häusern ist es oft jedoch gar nicht möglich, zum Heizen Wärmepumpen einzubauen und sie so auf einen Stand zu bringen, der der Energietransformation entspricht. „Für diese Häuser ist Wasserstoff eine einfache Lösung, die außerdem schnell installiert ist: Nach unseren Erfahrungen mit aktuellen Gaskesseln benötigt ein Installateur nur einen Vormittag, um einen H2-Kessel zu installieren. Mit der Wasserstofftechnologie können wir die Transformation beschleunigen“, sagt Gerrit Zijlstra. Und fügt hinzu: „Mit dem 100-Prozent-Wasserstoff-Kessel sind wir bereit für eine nachhaltige Zukunft. Das ist für uns ziemlich aufregend.“
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