Professor Hans-Jörg Bullinger beschäftigt sich intensiv mit der Zukunft der Arbeit – und der Arbeit der Zukunft. Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft weiß daher, worauf es ankommt, um auch morgen motivierte Beschäftigte an produktiven Arbeitsplätzen zu haben.
Weshalb muss sich unser Bild von Arbeit überhaupt ändern?
Weil wir damit der Entwicklung der Gesellschaft Rechnung tragen müssen, was Wohlstand, Arbeitszeit und das Verhältnis Arbeit zu Freizeit betrifft. Zudem haben wir heute ganz andere technische Möglichkeiten. Die Notwendigkeit, die Beschäftigten in einem Haus zusammenzusperren, um Kommunikation und Informationsfluss zu gewährleisten, besteht mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik nicht mehr.
Der beschränkte Raum löst sich aber auch an anderer Stelle auf: Von der Lehre bis zur Rente im selben Betrieb wird in Zukunft niemand mehr arbeiten?
Nein, ganz sicher nicht. Das mag in bestimmten Regionen, zum Beispiel auch bei ebm-papst, ein wenig konservativer sein. Dort wird es noch länger Entwürfe beruflicher Karrieren geben, die von Anfang bis Ende bei einer Firma verortet sind. Aber der Wandel findet dann innerhalb des Unternehmens statt: Der Arbeitnehmer wechselt die Abteilungen oder Standorte.
Wie sieht dann das Gesicht der „Arbeit der Zukunft“ aus?
Die Arbeit von morgen wird weniger raum- und zeitgebunden sein. Ganz plakativ könnte man sagen: Früher lautete die Maxime, „zur festen Zeit am festen Ort“ zu arbeiten. Für viele, vor allem in büronahen Tätigkeiten, heißt es in Zukunft: „Arbeite, wo und wann du willst!“
Ist die Dienstleistungsgesellschaft dafür das Allheilmittel?
Rein numerisch betrachtet, arbeiten bereits rund zwei Drittel aller Beschäftigten in Deutschland im Dienstleistungsbereich. Es ist allerdings ein großer Trugschluss, dass wir uns durch gegenseitiges Haareschneiden und Pizzaliefern endlos beglücken werden. Wir brauchen unbedingt die Wertschöpfung aus der Produktion. Die aufzugeben, wäre meiner Ansicht nach der größte Fehler.
Können diese beiden Aspekte zusammenfinden?
Ja, in sogenannten „hybriden Produkten“: der Verbindung von einem Sachgut mit einer Dienstleistung. Die führt dazu, dass der Kunde mehr Gesamtnutzen bekommt: nicht nur ein materielles Produkt, sondern Beratung, Planung und Service aus einer Hand. Daher bin ich davon überzeugt, dass produzierende Unternehmen sich zukünftig mehr wie Dienstleister verhalten werden.
Verlieren wir durch Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer an Innovationskraft?
Das ist eine Gefahr. Ich halte es für ein Märchen, wir könnten in Deutschland entwickeln und im Ausland billig produzieren. Es gibt sicher Fälle, in denen man unter dem Gesichtspunkt der Produktionskosten verlagern muss. Aber die Mehrzahl der positiven Verlagerungen findet statt, weil die Firmen zu den Märkten wollen. Dort passen die Unternehmen ihre Produkte dem jeweiligen Markt an. Daher wird ein Teil der produktnahen Entwicklung sicher auch in diese Länder abwandern. Auf der anderen Seite kommen aber auch Firmen zu uns und entwickeln hier.
Wie lassen sich beschleunigte Gesellschaft und wachsendes Gesundheitsbewusstsein am Arbeitsplatz vereinen?
Die Beschleunigung hängt stark mit der weltweiten Vernetzung zusammen. Die Entwicklungszeiten verkürzen sich weiter und Firmen machen ihr Geschäft weiterhin über Innovationen. Wer also wettbewerbsfähig bleiben will, muss sich in immer kürzerer Zeit mit immer mehr Neuem präsentieren. Das muss nicht automatisch zu höheren Gesundheitsschädigungen führen, aber zu qualitativ anderen. Die Erhebungen der Berufsgenossenschaften zeigen, dass nicht mehr die klassischen Erkrankungen wie Wirbelsäulenschäden im Vordergrund stehen, die von schwerer körperlicher Betätigung herrühren. Heute sind es mehr die psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, die der gestiegene Zeitdruck verursacht. Hier werden die Unternehmen für Ausgleich sorgen und sich zum Beispiel überlegen müssen, wie ihre Beschäftigten Entlastungsphasen an Arbeitsplätzen mit wenig Zeitdruck finden.
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