Mit dem wirtschaftlichen Boom ab Ende der 1940er Jahre setzte überall in Europa eine rege Bautätigkeit ein. Angesichts des riesigen Bedarfs nach bezahlbarem Wohnraum lag der Fokus in den Wirtschaftswunderjahren jedoch darauf, möglichst schnell zu bauen. Weniger wichtig schien die Frage nach der Energiebilanz. Und genau das ist heute ein Problem. Da ein Großteil des heutigen Gebäudebestands in den 1950er bis 1970er Jahren entstand, gelten heute in der Europäischen Union (EU) 75 Prozent als nicht energieeffizient. Das muss sich laut EU-Gebäuderichtlinie ändern: Bis 2035 soll der durchschnittliche Primärenergieverbrauch bestehender Wohngebäude um 22 Prozent sinken. 2050, so das Ziel, sollen dann alle Gebäude klimaneutral sein. Doch energetische Sanierungen sind nicht nur teuer, sondern auch zweitaufwendig und für die Bewohnerinnen und Bewohner während der Bauphase eine erhebliche Belastung. Wie lässt sich das ändern?
Das INFINITE-Projekt: Sanierung mit System
Mit dieser Frage hat sich Fabrizio Miorin in den letzten fünf Jahren intensiv befasst. Er leitet beim italienischen Hersteller von Lüftungsanlagen Vortice S.p.A. die Forschungs- und Entwicklungsabteilung und arbeitet beim von der EU geförderten INFINITE-Projekt mit: „Zusammen mit 20 Partnern aus acht Nationen, darunter Fertighaushersteller, Baukonzerne und auch Universitäten, entwickeln wir Lösungen, wie sich Fassaden von Häusern ohne große Eingriffe erneuern lassen, um die Energiebilanz zu verbessern.“ Ziel des Projekts ist es, die Sanierungskosten um bis zu 50 Prozent zu senken, die Bauzeit um 54 Prozent zu verkürzen und die Lebensdauer der sanierten Gebäude um weitere 50 Jahre zu verlängern.

Die Idee: Industriell vorgefertigte Fassadenelemente aus nachhaltigen Materialien, die sich einfach von außen an die bestehende Wand anbringen lassen. Der Clou: Zusätzlich entwickeln die Projektpartner Module, die sich nach dem Plug-and-Play-Prinzip in die Fassadenelemente integrieren lassen, damit diese neben der Dämmung zusätzliche Funktionen erfüllen können. Dazu zählen etwa die Integration von Solarzellen für die Stromerzeugung, Pflanzen für die Fassadenbegrünung, smarte Fenster, die sich zum Beispiel bei Sonneneinstrahlung automatisch verdunkeln oder eben auch ein System für Lüftung, Klimatisierung und Beheizung der Wohnungen. Genau hier bringt sich Vortice mit seiner Expertise ein. Die Aufgabe von Miorin und seinem Ingenieursteam war es, ein Lüftungsgerät zu entwickeln, das möglichst schmal ist, damit es in die Fassadenelemente passt, wenig Energie verbraucht und dabei vor allem leise arbeitet: „Die Lüftung soll die Bewohnerinnen und Bewohner nicht stören “, sagt Miorin.
So funktioniert die Lösung von Vortice


(Bild | Vortice)
Die Lüftung in der Wand
Für diese Anforderungen eine standardisierte Lösung zu entwickeln ist alles andere als einfach. Denn jede Fassade ist ein bisschen anders. Manche Häuser haben Balkone, andere wiederum nicht, die Anordnung der Fenster und deren Größe variieren und auch, was die Wohnungsgrößen angeht, gibt es erhebliche Unterschiede: „Wir haben die Gebäude in Europa genau analysiert. In Osteuropa sind die Wohnungen tendenziell kleiner als im Westen. Wir brauchen eine Lösung, die für alle Häuser funktioniert. Deshalb wird die thermische Einheit so dimensioniert, dass sie für Wohnungen mit 50 Quadratmetern ausreicht. Das bietet uns die größte Flexibilität“, erklärt Miorin. Bei größeren Wohnungen werden dann entsprechend zusätzliche Fassadenelemente mit Klimatechnik ausgestattet.
Das Konzept, das Miorin und sein Team gemeinsam mit den Projektpartnern entwickelt hat, sieht vor, dass eine Wärmepumpe je nach Bedarf zentral Wärme oder Kälte für das gesamte Gebäude produziert. Die Lüftungsgeräte von Vortice verteilen diese dezentral an die Wohneinheiten. Aber sie leisten noch viel mehr: „Wir nehmen die thermische Energie aus der Abluft und können sie über einen hocheffizienten Wärmetauscher, der mit dem Wärmepumpenkreislauf verbunden ist, wieder in die Wohnung zurückführen. Gleichzeitig versorgen wir die Räume auch mit Frischluft“, erklärt Miorin.
Zwei INFINITE-Pilotprojekte in Europa


Dadurch spart das Gesamtsystem weitere Energie ein. Um diese Lösung zu realisieren, benötigte Miorin zwei Ventilatoren: einer ist dafür zuständig, die verbrauchte Luft aus den Räumen an die Umgebung abzugeben, der andere versorgt die Wohnung mit frischer Luft und Wärme. Bei der Wahl eines geeigneten Herstellers musste der Ingenieur nicht lange überlegen: „Wir arbeiten schon seit vielen Jahren mit ebm-papst zusammen. Gerade bei Projekten wie diesen ist ein ausgewiesener Experte, der zuverlässige und effiziente Produkte liefert, wichtig. Und auch auf persönlicher Ebene ist die Zusammenarbeit sehr gut.“
Leise und effiziente RadiCal Ventilatoren
Die Anfrage von Miorin landete auf dem Tisch von Carlo Paroni, Team Leader Air Conditioning & Ventilation bei ebm-papst Italien. Dezentrale Lüftungsanlagen sind für Ihn nichts Neues. Genau für solche Anwendungen hat ebm-papst Axial- und Radialventilatoren entwickelt. Neu war allerdings auch für Paroni die Art, wie die Lüftungsanlagen eingesetzt werden: „Das ist ein spannendes und innovatives Projekt, das ein großes Energiesparpotenzial für Bestandsgebäude bietet. Das passt sehr gut zu unseren eigenen Unternehmenswerten.“
„Durch die bedarfsgerechte Regelung der Ventilatoren kann unser Gerät sehr präzise arbeiten.“
Fabrizio Miorin, Leiter Forschung und Entwicklung bei Vortice
Für das Gerät von Vortice fiel die Wahl auf zwei Ventilatoren der RadiCal-Baureihe. Sie vereinen alle Anforderungen, die Miorin wichtig waren: kompakt, energieeffizient, dank EC-Technologie bedarfsgerecht regelbar und selbst bei voller Leistung ausgesprochen leise. Miorin erklärt: „Durch die bedarfsgerechte Regelung der Ventilatoren kann unser Gerät sehr präzise arbeiten, und genau die Leistung zur Verfügung stellen, die tatsächlich benötigt wird.“ Und die Energieeffizienz ist bei einem Projekt, das Kosten sparen und das Klima schonen soll, natürlich Grundvoraussetzung.
Die Lösung im Realitätscheck
Unter realen Bedingungen, an all den sanierungsbedürftigen Fassaden muss sich die Lüftungslösung von Vortice allerdings noch bewähren. Die Fassadenelemente werden bislang in zwei Pilotprojekten in Italien und Slowenien getestet. Die ersten Auswertungen und Ergebnisse werden für 2026 erwartet. Wenn alles gut läuft, könnten die vorgefertigten Fassaden schon bald unzählige weitere Gebäude in ganz Europa zieren und für mehr Effizienz und Wohnkomfort sorgen – leise und klimaschonend.
Grund den Prozess zu beschleunigen, gibt es jedenfalls mehr als genug: Aktuell beträgt die durchschnittliche Quote der energetischen Renovierung in der EU nur etwa ein Prozent. Miorin ist überzeugt, dass die Lösung des INFINITE-Projekts einen wichtigen Beitrag zu Klimaschutz leisten kann. Und er denkt auch schon an eine Weiterentwicklung: „Anstelle einer zentralen Wärmepumpe, wäre aus meiner Sicht auch eine dezentrale Wärmeerzeugung denkbar.“
Auf einen Blick
Das Unternehmen
Vortice S.p.A. mit Hauptsitz in Tribiano bei Mailand wurde 1954 gegründet und produziert energieeffiziente Lüftungsanlagen und Wärmerückgewinnungssysteme für industrielle, gewerbliche, aber auch häusliche Anwendungen. Heute gehört das Unternehmen zu den weltweiten Marktführern in diesem Bereich und ist in über 90 Ländern aktiv.
Das Projekt
Das INFINITE-Projekt ist eine von der Europäischen Union geförderte Initiative, die Teil des Förderprogramms für Forschung und Innovation Horizon 2020 ist Ziel ist es, industrialisierte, integrierte Fassadenlösungen für die energetische Sanierung von Gebäuden zu entwickeln und somit zur Dekarbonisierung des europäischen Gebäudebestands beizutragen.
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