Formel 1 und Lufttechnik haben mehr gemeinsam, als auf den ersten Blick zu erkennen ist: Sowohl Rennställe als auch Ventilatorenhersteller nutzen modernste Werkstoffe und arbeiten an Gewichtsreduzierungen sowie der Vernetzung ihres Produkts mit seiner Umgebung. Auch auf dem Gebiet der Aerodynamik gibt es interessante Gemeinsamkeiten. Welche das sind und wie hoch die Bedeutung der Aerodynamik in der Formel 1 ist erklärt Geoff Willis, Technology Director bei MERCEDES AMG PETRONAS Formel 1 Team, im Interview.
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sehen Sie zwischen Formel 1 Boliden und Ventilatoren?
Bei Treffen mit Ingenieuren unseres Teampartners ebm-papst stellten wir fest, dass sich unsere Arbeitsweisen stark ähneln. Sowohl bei Ventilatoren als auch in der Formel 1 arbeiten wir viel mit Verfahren der numerischen Strömungsdynamik (computational fluid dynamics = CFD) und streben ständige Verbesserungen an. Zudem bewegen sich sowohl ebm-papst als auch wir bei MERCEDES AMG PETRONAS im Bereich der Niedergeschwindigkeits-Aerodynamik*.
Die Ingenieure aus der Welt der Ventilatoren und die der Formel 1 sprechen also die gleiche Sprache. Unterschiede gibt es bei den Lösungen, die wir entwickeln und bei der Art der Strömungen, mit denen wir uns beschäftigen. Während bei den Ventilatoren rotierende Strömungen eine große Rolle spielen, geht es bei uns in erster Linie um den sogenannten Bodeneffekt, der dadurch entsteht, dass wir so nah am Boden Abtrieb erzeugen.
*Niedergeschwindigkeits-Aerodynamik bezeichnet den Bereich der Aerodynamik, in dem mit Strömungen mit einer Geschwindigkeit von bis zu circa Mach 0,3 gearbeitet wird.
Wie viele Menschen arbeiten in Ihrer Mannschaft an der Aerodynamik der Formel-1-Autos?
Wir haben in unserem Team rund 70 Aerodynamiker, Ingenieure und Spezialisten, die sich direkt mit dieser Thematik beschäftigen. Oben drauf kommen weitere 80 Mitarbeiter, die technische Unterstützung für diesen Bereich leisten. Sie designen und bauen die Modelle oder sind für die Technik im Windkanal zuständig. Um die Arbeit zu koordinieren, ist der gesamte Aerodynamik-Bereich in mehrere Untergruppen aufgeteilt. Diese haben jeweils alle Ressourcen, die sie benötigen, um sich um ganz bestimmte Teile des Autos oder eine bestimmte Aufgabenstellung zu kümmern.
Welches sind die wichtigsten Faktoren, an denen sie im Bereich der Aerodynamik arbeiten?
Ein Ziel ist es, den Abtrieb zu erhöhen, sodass die Autos mehr Grip haben und schneller um die Kurven kommen. Außerdem arbeiten wir daran, den Luftwiderstand zu reduzieren, da wir so Kraftstoff sparen und bessere Rundenzeiten erreichen. Das wichtigste allerdings – und davon sprechen auch die Fahrer oft – ist die Balance des Autos. Es muss den richtigen Grip an der Front- und an der Heckachse haben und sich gut durch die Kurven steuern lassen. Deshalb opfern wir manchmal auch ein bisschen absoluten Abtrieb, um einen gleichmäßigeren Abtrieb zu erreichen.
Wie lässt sich diese Balance messen?
Wir haben heute die Möglichkeit, eine große Menge an Daten zu erheben. Sie geben Aufschluss über alle Kräfte, die auf den Boliden einwirken und darüber, wie wir sie verändern können. Für Feinheiten sind wir jedoch auf die Rückmeldung der Fahrer angewiesen. Diese können uns beispielsweise besser sagen, wie schnell sich die Kräfte beim Einfahren in eine Kurve aufbauen. Deshalb ist ihr Feedback wichtig für unsere Arbeit.
Wie haben sich die Anforderungen an die Aerodynamik eines Formel-1-Wagens in den vergangenen Jahren verändert?
Viele neue Herausforderungen haben ihren Ursprung in den häufigen Regeländerungen. In letzter Zeit gab es einige signifikante Veränderungen. Diese betreffen zum einen den Sicherheitsbereich. Hier haben wir die Geometrie des Autos verändert, um einen besseren Schutz des Fahrers zu gewährleisten und den Schaden bei Auffahrunfällen zu verringern. Dabei müssen wir natürlich auch immer die Auswirkung der Änderungen auf die Aerodynamik im Auge behalten.
Eine weitere interessante Herausforderung ergab sich aus der neuen Generation der Hybrid-Power-Units mit Turboladern, die 2014 eingeführt wurden. Durch diese neue Technik besteht ein viel direkterer Zusammenhang zwischen der Performance des Chassis und des Motors. Bei einem Turbolader müssen wir die über 200 Grad Celsius heiße Verbrennungsluft, die aus dem Verdichter kommt, kühlen, bevor sie in den Motor fließt. Dafür benötigen wir zusätzliche Kühlleistung. Das führt dazu, dass wir die Leitung des Motors gegenüber der Leistung des Chassis abwägen müssen.
Man könnte meinen, dass die Formel-1-Boliden schon so ausgereift sind, dass es nicht mehr wirklich viel zu verbessern gibt. Wie kommen Sie trotzdem immer wieder auf neue Ideen?
In dem Maß, in dem wir die Zusammenhänge im Auto besser verstehen, können wir auch weitere Verbesserungen erreichen. Das bezieht sich vor allem auf die Tatsache, dass wir die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Design-Komponenten des Autos immer besser verstehen und durch einen ganzheitlichen Ansatz stetig verbessern. Mit der wachsenden Komplexität der Aufgaben werden wir auch immer besser in der Simulation und dem virtuellen Engineering.
Sie sprechen die Simulationen im Computer an. Welche Rolle spielen diese Art von Tests und wie wichtig sind sie im Verhältnis zu Tests im Windkanal oder auf der Rennstrecke?
In allen Bereichen gibt es strenge Auflagen, die die Anzahl der Tests sowie die Testzeiten limitieren. Das Verhältnis zwischen Tests im Windkanal und Computersimulationen steht bei 50 zu 50. Vor zehn Jahren hatten CFD-Verfahren noch eine begrenzte Leistungsfähigkeit und wurden daher zur Analyse von bereits getesteten Konzepten genutzt. Heute sind diese Methoden komplett in unseren Design-Prozess integriert. Natürlich sind auch Tests auf der Strecke wichtig. Hier haben wir jedoch nur die Möglichkeiten vor der Saison und noch zwei Mal während der Saison. Manchmal führen wir auch am Freitag eines Rennwochenendes aerodynamische Experimente durch. Rein zeitlich betrachtet nehmen diese Tests also einen geringeren Stellenwert ein. Wichtig ist, dass wir es schaffen alle Elemente aus Windkanal, CFD und Streckentests sinnvoll miteinander zu verbinden und so zu neuen Erkenntnissen zu kommen.
Starke Partner
ebm-papst unterstützt das MERCEDES AMG PETRONAS Formel 1 Team schon in der zweiten Saison. Als Teampartner entwickelte der Ventilatorenspezialist bereits 2014 energieeffiziente Aufsatzkühllösungen für die F1 W05 Hybrid Rennwagen, die die temperaturempfindlichen Komponenten der Boliden im Stand auf die optimale Betriebstemperatur herunterkühlen. Für 2015 entwickelte der Technologieführer in enger Zusammenarbeit mit dem F1-Team speziell angefertigte Kühllösungen, die die Arbeitsbedingungen in den Team-Boxen während der heißeren Rennen erheblich verbessern.
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