März 2020. Ob Bergamo oder Straßbourg – die Nachrichten zur Corona-Pandemie haben im Frühjahr schlagartig deutlich gemacht, was passieren kann, wenn das Virus außer Kontrolle gerät, Krankenhäuser überlastet sind und lebensrettende medizinische Geräte fehlen. Auch Mitarbeiter von Viessmann waren beunruhigt, als sie von der dramatischen Lage hörten und wollten handeln. Das Unternehmen aus Allendorf in Nordhessen hat schon in einer frühen Phase der Pandemie Gesichtsmasken sowie Desinfektionsmittel hergestellt. Dann kam aus der Belegschaft die Idee: Warum nicht auch Beatmungsgeräte herstellen? Durch eine Heizung wird schließlich auch Luft bewegt.
Das Ziel: ein schnell einsatzfähiges Beatmungsgerät
Jan Heiner nahm diese Herausforderung gerne an. Normalerweise ist er bei Viessmann für Brennstoffzellenheizsysteme zuständig. Ab März leitete er das Projekt “Beatmungsgerät”, für das er und 20 andere Mitarbeiter freigestellt wurden. „Wir waren natürlich Feuer und Flamme und haben uns gleich in die Arbeit gestürzt. Aber ein bisschen skeptisch waren wir, ob uns das tatsächlich gelingen würde.“

Der Vorteil der Heizgeräte von Viessmann ist, dass sie modular aufgebaut sind. So lässt sich der Aufbau leicht konfigurieren. (Foto: Viessmann)
Das Ziel war: So schnell wie möglich ein einsatzbereites Gerät zu haben, das Leben retten kann. Heiner nahm zunächst Kontakt zu Anästhesisten und Intensivmedizinern des Luisenhospitals Aachen auf, einem akademischen Lehrhospital der Uniklinik Aachen, um die Anforderungen an solche Geräte zu besprechen: „Der Beatmungsverlauf ähnelt einer Sinuskurve. Es gibt ein oberes und ein unteres Druckniveau.“ Bei der künstlichen Beatmung muss das Gerät zunächst Druck aufbauen, damit Luft in die Lunge gelangt und dann Druck abbauen, damit ein Ausatmen möglich ist. Zudem weisen die Ärzte darauf hin, dass auch die Sauerstoffzumischung eine wichtige Anforderung sei. „Je nach Krankheitsverlauf ist es nämlich notwendig, Patienten mit einer höheren Sauerstoffkonzentration zu versorgen“, erklärt Heiner. Nachdem er sich innerhalb kürzester Zeit in die Lungenfunktion eingearbeitet hat, hält er die Aufgabe für machbar.
„Der Vorteil ist, dass unsere Heizungen modular aufgebaut sind, so haben wir hier die Flexibilität Komponenten zu tauschen oder den Aufbau neu zu konfigurieren.“ Die Herausforderung ist nun, die besonderen Anforderungen mit vorhandenen Komponenten zu erfüllen. „Wir wollten schließlich nicht in die Lieferketten von Medizingeräteherstellern eingreifen, die ohnehin bereits Engpässe hatten.“
Das Entscheidende ist die Bremsfunktion
So dachten auch die Verantwortlichen bei ebm-papst, als am 30. März von Viessmann die Anfrage nach einem geeigneten Gebläse in Landshut einging. Markus Weingart, Head of Departement Electronics erklärt: „In St. Georgen produzieren wir bereits Gebläse genau für solche Anwendungen, aber die sollten eben den Medizintechnikherstellern vorbehalten sein. Also mussten wir uns nach einer Alternative umschauen, die sofort verfügbar war.“ Die Wahl fiel rasch auf ein elektronisches Gasgebläsesystem, das für die Brennwertheizungen von Viessmann bereits in hoher Stückzahl produziert wurde. „Im Prinzip ist es für das Gebläse egal, ob wir Erdgas und Luft mischen oder Sauerstoff mit Luft – einzig die sehr hohe Lebensdauer des Gasgebläses reduziert sich durch den höheren Sauerstoffanteil.“, erläutert Weingart.
Im Prinzip ist es für das Gebläse egal, ob wir Erdgas und Luft mischen oder Sauerstoff mit Luft.
Markus Weingart, Head of Department Electronics, ebm-papst
Da eine einzelne Systemlösung mit integriertem Gasventil nicht reicht, um den notwendigen Druck sekundenschnell aufzubauen, entschieden sich die Viessmann-Ingenieure, zwei Gebläse in Reihe zu schalten und die Systemgrenzen voll auszunutzen. „Hier war es von großem Vorteil, dass wir die Systemgrenzen genau kannten und nicht erst neue Messungen machen mussten. Das hatten wir alles in der Schublade. Wir qualifizieren unsere Produkte für gewöhnlich sehr hart. Wir wissen also, was mechanisch wie auch elektrisch möglich ist und das Gebläse verträgt“, so Weingart.
Trotzdem war noch eine entscheidende Softwareanpassung notwendig: eine Bremsfunktion. In einer Heizung ist die überflüssig, dort läuft das Lüfterrad beim Abschalten einfach aus. Bei einem Beatmungsgerät wäre das jedoch fatal, weil ein Ausatmen nicht möglich ist, wenn weiter Luft in die Lunge strömt. Der Druck muss deshalb abrupt nachlassen. „Wir haben also die Bremsfunktion neu programmiert. Die Kunst dabei war, das so zu machen, dass der Bremsstrom begrenzt bleibt. Ist er zu hoch, könnten Bauteile Schaden nehmen. Allerdings besteht in der vorhandenen Hardware keine Möglichkeit diesen Bremsstrom zu messen, also mussten wir das Problem rein theoretisch angehen“, beschreibt Weingart die Herausforderung.
Die Spannung steigt: Ist das Gerät praxistauglich?

Die Prototypen sind fertig und Viessmann ist auf die Serienproduktion des Beatmungsgeräts vorbereitet.
Nur zwei Wochen später war das angepasste Gebläse bei Viessmann bereit für den Einbau. In der Zwischenzeit hatte Heiner mit seinem Team das Gehäuse angepasst, die Anschlüsse für Sauerstoff und Beatmungsschlauch konzipiert und eine eigene Sensorik für den Volumenstrom entwickelt. Entscheidend war nun, ob die Dynamik zum Beatmungszyklus passt.
Wie es der Zufall wollte, war einer der Piloten des Viessmann-Unternehmensjets auch Arzt. Als er Wind von diesem Vorhaben bekam, bot er seine Unterstützung an und besorgte eine Beatmungspuppe für Tests. Die liefen soweit gut, doch was noch fehlte, war das Urteil der Spezialisten in Aachen, die bereits einen ersten Prototyp bekommen hatten. Die Anspannung bei Heiner und seinem Team war groß – Wochenendschichten und Tage mit Arbeiten bis spät in den Abend hinein lagen hinter ihnen. Doch dann kam die entscheidende Nachricht: Das Gerät war grundlegend geeignet! „Da waren wir schon alle mega stolz, zumal wir ja zuerst selbst kaum geglaubt haben, das schaffen zu können!“, so Heiner.
Produktionsbereit für die nächste Welle
Nur acht Wochen, nachdem das Projekt gestartet war, lieferte Viessmann erste Prototypengeräte in andere Länder. Gleichzeitig beschloss man, gemeinsam die Serienproduktion für diese Spezialgebläse vorzubereiten, um ab den Sommermonaten bereit für größere Serienmengen zu sein. „Die Geräte wären auch mobil einsetzbar, zum Beispiel in Messehallen, die zu Notkrankenhäusern umgebaut werden.“
Doch es kam anders: Die Maßnahmen, um das Virus einzudämmen, zeigten Wirkung; die vorhandenen Beatmungsgeräte reichten zum Glück aus. „Ein zertifiziertes Medizingerät war nie unser Ziel. Wir hätten aber im Krisenfall auf eine Sonderzulassung gehofft.“ Auch Heiner ist froh, dass der Worst-Case bislang nicht eintrat. Trotzdem ist er auch nachdenklich gestimmt: „Ich habe Bilder aus Ländern gesehen, da wurden Patienten bei einer OP per Hand beatmet. Da wäre der Einsatz unserer Geräte für die Patienten sehr viel besser gewesen.“
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