Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit haben einen gemeinsamen Verbündeten: Effizienz. Denn eine effiziente Produktion und Logistik ist schnell und ressourcenschonend. Besonders in Hochlohnländern wie Deutschland und generell in Zeiten des Personalmangels und der Ergonomisierung der Arbeitswelt kommen Robotik und Automatisierung deshalb besondere Bedeutung zu: Sie können entscheidend zur Effizienzsteigerung beitragen. Das gilt auch für Fahrerlose Transportsysteme (FTS).
Speziell für die neue Ventilatoren-Fertigungslinie in Mulfingen hat das Unternehmen emm! solutions im Auftrag von ebm-papst den Eddy entwickelt: ein FTF, das das Potenzial zu mehr Effizienz durch Zeit- und Platzersparnis ausschöpft – vor allem dank des darin verbauten ArgoDrive. Die omnidirektionale Antriebslösung von ebm-papst sorgt für umfassende Wendigkeit aus dem Stand in alle Richtungen und kommt auch mit Steigungen und höheren Gewichten besser zurecht als andere Antriebe im Markt.
Wendiger Gassenflitzer für Mulfingen
In der neuen Fertigungslinie in Mulfingen werden verschiedene Motorvarianten der Baugröße 90 für Ventilatoren hergestellt. Die Produktion erfolgt nahezu vollautomatisch. Das ist in dieser Form nur durch den Einsatz des Eddy möglich. Beispielsweise an zwei Inseln mit jeweils drei Wuchtstationen: Damit sie schnell und ohne Wartezeit zwischen den einzelnen Stationen wechseln können, sind die FTF so getaktet, dass sie immer zum richtigen Zeitpunkt Bauteile bringen und abholen. Das erfolgt über eine automatische Priorisierung der anzufahrenden Wuchtmaschinen durch die Software EPOS von ebm-papst, mit der die Eddys kompatibel sind.
Um die einzelnen Arbeitsplatztypen ergonomisch optimal zu halten, haben sie den Aufgaben entsprechend unterschiedliche Arbeitshöhen. Darüber hinaus erfolgt an einer Station der Austausch von bestückten Werkstückträgern gegen leere auf zwei unterschiedlich hohen Ebenen. Um diesem Aufgabenspektrum gerecht zu werden, verfügt der Eddy über einen Scherenhubtisch mit ECI63 K5 Motor von ebm-papst, der die Ladefläche entsprechend der unterschiedlichen Stationen präzise hebt und senkt.
Er zeichnet sich unter anderem durch seine integrierte CAN Schnittstelle aus, über die die Fahrzeugsteuerung ihn direkt steuern und seine Prozessdaten auslesen kann. Darüber hinaus hat er eine Vielzahl digitaler Ein- und Ausgänge. Dies ermöglicht, dass er auch den Antrieb für das Förderband des Eddy mitsteuert – einen ECI63 K4. Die FTF befördern die Produkte von Ebene zu Ebene und übernehmen auch den Rücktransport. Wenn die Eddys die fertigen Produkte von der Veredelung abholen, geht es direkt ins angeschlossene Lager. Auch der Versand und das Eingangslager liegen direkt in der Nähe.
Über eine Software von ebm-papst reagieren die Eddys während des gesamten Prozesses intelligent auf die jeweiligen Bedarfe und Aufgaben, erzählt Steffen Ley, verantwortlich für die Digitalisierungsprozesse der Produktion: „Durch den Einsatz dieser Software kann ebm-papst alle Vorteile der Matrix-Produktion nutzen. Das kompensiert Schwankungen innerhalb der Produktfamilien was Nutzungsgrad und Maschinenauslastung erhöht.“
Erfolgreiches Duo aus Antrieb und Software
Als Antrieb setzt das Entwicklerteam des Eddy auf den ArgoDrive von ebm-papst. Die Einheit besteht aus Motoren, speziellem Getriebe, Sensorik sowie allen erforderlichen Anschlüssen und erlaubt flächenbewegliches Navigieren. Sprich, ein entscheidender Vorteil dieser Antriebstechnologie ist seine Fähigkeit zur Omnidirektionalität, also zur Bewegung in alle Richtungen. Die lässt sich bereits mit zwei diagonal angeordneten Antrieben pro FTF erreichen.
Dadurch können die Eddys beispielsweise die Stationen zum Radschrauben, Wuchten oder die Werkstückträger-Rückgabe auch schräg an- oder abfahren. Das verkürzt die Zeit für das nächste FTF, das nicht auf ein Auspark- oder Wendemanöver seines Vorgängers warten muss. Dieser Mobilitätsvorteil gegenüber normalen FTS optimiert nicht nur die Transport- und Übergabezeiten zwischen verschiedenen Produktionsstationen, sondern ermöglicht ein deutlich kompakteres Raumkonzept.
Der ArgoDrive zeichnet sich dabei durch eine Kombination von zwei Motoren aus, die nicht nur für das Fahren, sondern auch für das Lenken verantwortlich sind. Die Integration der Motoren und das Überlagerungsgetriebe ermöglichen eine präzise Steuerung und Anpassung der Motorleistungen, um eine optimale Beweglichkeit und Effizienz der FTFs zu erreichen.
Die Eddys in Mulfingen können durch den Scherenhubtisch jeweils bis zu 50 Kilogramm Gewicht schultern – begrenzt durch die Tragfähigkeit des Hubtisches. Generell lässt sich die Nutzlast über den ArgoDrive variieren: Je nach Art der Antriebslösung (Light, Standard und Heavy) sind 500 Kilogramm pro Rad möglich. Mit vier Heavy-Varianten ist also ein Gesamtgewicht von bis zu zwei Tonnen möglich.
Die von emm! solutions entwickelte Software im Eddy erkennt Hindernisse selbstständig und bremst das FTF rechtzeitig ab; auch komplexe Routen sind für die FTF kein Problem. Damit all das funktioniert, werden zuerst virtuelle Lagepläne der Umgebung erstellt, indem das Fahrzeug einmal mit einem Joystick durch die Produktionshalle geführt wird. Dabei zeichnet das Fahrzeug mittels Laserscanner – ein Prozess, der auch als SLAM Navigation oder freie Laser Navigation bekannt ist – eine virtuelle Karte der Umgebung auf. Diese wird in die Leitsteuerung integriert, was es ermöglicht, sie später schnell auf andere Fahrzeuge zu übertragen.
Diese Karte ermöglicht es dem Fahrzeug später, sich durch Triangulation zu orientieren, indem es die Abstände zu verschiedenen Maschinen und Raumstrukturen misst. An Andockstationen unterstützen V-Bleche die exakte Positionierung. So kann das Fahrzeug seine Position im Raum bestimmen und weiß auch, wenn es sich an einer spezifischen Stelle wie einer Rückgabe- oder Montagestation befindet.
Effizient und flexibel
Dank ArgoDrive kann der Eddy die Andockstationen auch in schräger Ausrichtung eigenständig an- und abfahren. Der Scherenhubtisch ermöglicht zudem ein flexibles Be- und Entladen an Stationen unterschiedlicher Höhe.
Diese Methode der Navigation und Lokalisation ermöglicht eine flexible und effiziente Bewegung der Fahrzeuge innerhalb der Produktionsumgebung, ohne dass physische Leitlinien wie Streifen auf dem Boden oder Reflektoren benötigt werden. Zudem bietet das System die Möglichkeit, die virtuelle Karte zu aktualisieren oder zu erweitern, indem neue Stationen oder Routen direkt durch das Fahrzeug „gelehrt“ werden können.
Ausgezeichnete Flotten-Idee
Darüber hinaus sind die Eddys in der Fertigung über die ebm-papst Software miteinander verbunden, sodass sie zu jeder Zeit am richtigen Ort sind und keine Station auf einen Eddy warten muss. Dieser kooperative Einsatz der Einheiten ist essenziell: Im Vollausbau werden konstant 30 FTF im Einsatz sein. Davon 23 aktiv, 5 ladend und 2 als Backup.
Die Steuerung erfolgt über eine zentrale Leitstelle. Sie nutzt Informationen wie den Batteriezustand der Fahrzeuge, ihre genaue Position und ob sie gerade eine Transportaufgabe haben oder für neue Aufträge bereit sind. Auf dieser Basis entscheidet die Leitstelle, welches Fahrzeug am besten für einen bestimmten Transport geeignet ist, wobei sie die unterschiedlichen Fähigkeiten und Kapazitäten der Fahrzeuge berücksichtigt. Diese Fähigkeiten in Kombination mit der Aufgabenpriorisierung und dem selbstständigen Sicherheitsstopp bei Hindernissen – all das reduziert auch den manuellen Eingriff deutlich.
Die Entwicklung dieser Software war eine große Herausforderung, doch die Fertigung in Mulfingen beweist eindrücklich, wie ein effizientes, hochmobiles und modernes System die Effizienz deutlich steigert, erklärt Steffen Ley: „Durch die Eddy-Flotte können wir sowohl feste Routen als auch variable Abläufe ohne Zeiteinbußen und Wartezeiten optimal bespielen. Das hat unsere Taktzahl deutlich erhöht.“
Und die Entwicklung wurde bereits belohnt: mit dem Industrie 4.0 Award in der Kategorie Winner für das gelungene Gesamtkonzept der Fertigungshalle aus Automatisierung, Matrixproduktion und hocheffizienter Fertigung bei Losgröße 1.
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