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„Das Fahren wird anstren­gender“

Aero­dy­namik-Experte Dr. Jürgen Schöne über die Regel­än­de­rungen in der Saison 2017.


Die schwer­wie­gendsten Regel­än­de­rungen für die Formel-1-Saison 2017 betreffen die Karos­serie. Der Wagen wird breiter, flacher und liegt mit seinem aggres­siven Aussehen noch tiefer auf der Straße. Das neue Design beein­flusst vor allem die Aero­dy­namik des Fahr­zeugs. Welche Auswir­kungen das hat, beur­teilt Dr. Jürgen Schöne, Haupt­ab­tei­lungs­leiter Strö­mungs­technik bei ebm-papst in Mulfingen – dem offi­zi­ellen Team Supplier von Mercedes-AMG Petronas Motor­sport.

In der kommenden Formel 1 Saison werden die Autos breiter, liegen tiefer auf der Straße und wirken aggres­siver. Welche Auswir­kungen haben diese Ände­rungen auf die Aero­dy­namik der Autos?

Dr. Jürgen Schöne, Haupt­ab­tei­lungs­leiter Strö­mungs­technik bei ebm-papst in Mulfingen.

Dr. Jürgen Schöne: In der Gesamt­heit führt das dazu, dass das Fahr­zeug einen höheren aero­dy­na­mi­schen Abtrieb erzeugt. Das ermög­licht eine bessere Boden­haf­tung bei größerer Kurven­be­schleu­ni­gung. Eine Ziel­set­zung der aero­dy­na­mi­schen Ausle­gung ist, die Abtriebs­kraft über den Boliden hinweg zu maxi­mieren. Wenn nun der Front­flügel breiter und die Nase länger wird, gibt das den Teams die Möglich­keit, die Umströ­mung besser auszu­legen.

Das ist deshalb wichtig, weil der Front­flügel die gesamte Aero­dy­namik um das Fahr­zeug herum beein­flusst. Die Luft strömt vom Front­flügel über das Vorderrad, das Chassis und den Heck­flügel. Daher muss die Geome­trie des Front­flü­gels so ausge­legt sein, dass sie auch die Strö­mung über die rest­li­chen Kompo­nenten verbes­sert. Zum Beispiel wurden die seit­li­chen Wind­ab­weiser vergrö­ßert. Diese Maßnahme beein­flusst die von den Vorder­rä­dern kommende stark gestörte Strö­mung.

Weshalb werden die Autos so schneller?

Dazu muss man zunächst mal defi­nieren, was man unter „schnell“ versteht. In erster Linie bedeutet das eine möglichst geringe Runden­zeit. Ob der Wagen eine höhere Endge­schwin­dig­keit hat, oder ob er in der Kurve schneller ist, hängt von vielen Para­me­tern ab: Neben Motor­leis­tung, Beschleu­ni­gungs­fä­hig­keit, Luft­wi­der­stand und Abtriebs­kraft natür­lich auch das Können des Fahrers. Aero­dy­na­mi­sche Faktoren tragen also tatsäch­lich einen Teil dazu bei. Schnel­lere Runden­zeiten lassen sich aber nur in der Betrach­tung aller Faktoren erklären. In der kommenden Saison sollen durch diese Maßnahmen die Runden­zeiten um bis zu fünf Sekunden sinken – das ist eine ganze Menge.

Warum lassen sich die Autos mit diesen Ände­rungen schwerer steuern?

Wenn das Fahr­zeug mehr Abtrieb erzeugt, lassen sich höhere Kurven­ge­schwin­dig­keiten errei­chen. Dabei wirken stär­kere Kräfte auf den Fahrer ein, seine Belas­tung nimmt über die Renn­zeit zu. Dadurch wird das Fahren deut­lich anstren­gender.


Entde­cken Sie die Unter­schiede an der Karos­serie:

2016
2017

Verschieben Sie die Pfeile in der Mitte um die Karos­serie-Maße der Saison 2016 mit denen der aktu­ellen Saison zu verglei­chen.


Welche Rolle spielt die Form des Front­flü­gels, wenn die Boliden dicht hinter­ein­an­der­fahren?

Sobald im Rennen Fahr­zeuge hinter­ein­an­der­fahren, wird das hintere stark vom vorderen in seiner Aero­dy­namik beein­flusst. Nega­tive Einflüsse sollen dabei natür­lich möglichst gering gehalten werden.
Da spielt der Front­flügel eine wich­tige Rolle, da er in solchen Situa­tionen als erstes und am stärksten betroffen wird. Die Aufgabe dabei ist, eine Geome­trie zu finden, die trotz stark gestörter Zuströ­mung noch guten Abtrieb ermög­licht. Die Formel-1-Konstruk­teure begegnen diesem enorm komplexen Problem mit Viel­fach­flü­gel­sys­temen. Dabei besteht der Front­flügel aus mehreren neben- und über­ein­ander versetzten Elementen.

Über­tragen wir die Regel­än­de­rungen doch mal auf Ihre tägliche Arbeit: Was bedeutet es für einen Venti­lator, wenn seine Flügel breiter und länger werden?

Das sind bei uns ganz typi­sche Para­meter. Wenn wir den Platz haben, versu­chen wir den auch durch möglichst viel Flügel­fläche auszu­nutzen. Denn mehr Flügel­fläche führt zu mehr Luft­leis­tung bei glei­chen Außen­ab­mes­sungen und Dreh­zahlen.

Wie gehen Sie diese Heraus­for­de­rung an?

Die Heran­ge­hens­weise unter­scheidet sich nicht wesent­lich von der in der Formel 1: Die Inge­nieure haben eine Aufgabe mit klarer Ziel­set­zung und bestimmten Rand­be­din­gungen. Sie haben dafür bestimmte Vorge­hens­weisen und Werk­zeuge. Wir haben im gemein­samen Austausch fest­ge­stellt, dass sie dafür die glei­chen Werk­zeuge wie wir nutzen: Simu­la­tion, Versuch und Ergeb­nisse aus dem Feld. Wir nutzen fast dasselbe Simu­la­ti­ons­werk­zeug wie die Inge­nieure in Brackley. Dort wo sie Versuche im Wind­kanal durch­führen, gehen wir in den Luft­leis­tungs­prüf­stand. Sie gehen mit dem Fahr­zeug auf die Strecke, wir nutzen Mess­werte aus den Anwen­dungen.

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